Entstehungsgeschichte des Grazer 2-Stunden Provisoriums

Entstehungsgeschichte des Grazer 2-Stunden Provisoriums

 

Entstehungsgeschichte des Grazer 2-Stunden Provisorium

 

Wie kam es zum 2-Stunden Grazer Provisorium?

Diese Frage lässt sich in erster Linie zeitgeschichtlich beantworten, wenn man sich mit den Vorkommnissen dieser Tage im Mai 1945 auseinandersetzt.

Das wichtigste Anliegen der Bevölkerung dieser Tage war, die rasche Aufnahme der Kommunikationsmöglichkeiten, um mit versprengten Familienangehörigen in Kontakt zu treten oder diese über Freunde / Bekannte oder Suchdienste wiederzufinden.

Daher beginnen wir die Reise in die Vergangenheit, mit der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 und der Besetzung Graz durch die Sowjetischen Truppen am 9. Mai 1945. Zu diesem Zeitpunkt kam es zum Erliegen des gesamten Postverkehrs.

 

Briefe / Postkarten als einfachstes Kommunikationsmittel zu nutzen schien naheliegend, nachdem die gesamte Infrastruktur zerstört war. Die Marken des 3. Reiches mit dem Hitlerbild durften nicht mehr eingesetzt werden und deren Verwendung wurde zudem von den sowjetischen Besatzungsbehörden untersagt. Daher war man anfänglich nach der Wiederaufnahme des Postverkehrs, zur Barfreimachung mit dem Vermerk «Bar bezahlt» übergegangen.

Da dieser Vorgang jedoch umständlich und zeitraubend war, hatte die Postdirektion Graz der Besatzungsmacht einen Vorschlag unterbreitet, die noch vorrätigen Hitler-Freimarken mit einem Überdruck zu versehen um damit das Hitler-Konterfei unkenntlich zu machen.

Die benötigten Mengen konnten jedoch in der Kürze der Zeit nicht bereitgestellt werden, daher war die Postdirektion Graz 1 bei der russischen Militärverwaltung vorstellig geworden und legte ein Belegexemplar der Hitler-Freimarken vor, welche den Aufdruck «Österreich» jeweils links und rechts umrahmt von zwei Doppellinien zeigte. Um welches Exemplar es sich dabei handelte, ist nicht mehr rekonstruierbar. Der vorgelegte Überdruck wurde jedoch abgelehnt, da der Hitlerkopf durch die 2 Doppellinienaufdrucke aus Sicht der Besatzungsbehörde nicht ausreichend unkenntlich gemacht wurde.

 

Einer Anordnung der Postdirektion Graz zur Folge, mussten ab dem 22. Mai 1945 für alle Postsendungen - das war der Dienstag nach Pfingsten, in der Steiermark überdruckte Marken des Hitlerkopfes verwendet werden. Dazu sollten die Hitler Freimarken mit dem Überdruck «Österreich» als Schriftzug jetzt mit drei Linien jeweils links und rechts des «Österreich» Schriftzugs zum Einsatz gelangen.

Am Pfingstmontag den 21. Mai 1945 fanden dazu die ersten Verhandlungen zum Druck der 6 Pfg. (Tarif für Postkarten im Fernverkehr) und 12 Pfg. (Tarif für Briefe im Fernverkehr) Marken mit der Steiermärkischen Landesdruckerei statt. Noch am gleichen Tag jedoch musste das Postamt Graz 1 am Nachmittag darüber informiert werden, dass es zu Verzögerungen bei der Auslieferung am kommenden Tag den 22. Mai 1945 kommen wird.

Die überarbeitete Druckvariante zur Grazer Aushilfsausgabe mit 3 Linien konnte von der Steiermärkischen Landesdruckerei erst ab 10 Uhr ausgeliefert werden.

Da jedoch das Postamt um 8 Uhr öffnete, mussten alle bis dahin aufgegebenen Sendungen mit dem ursprünglich vorgelegten Stempel: «Österreich» mit den zwei umrahmenden Doppellinien überdruckt werden. Dadurch kam notdürftig genau jener Überdruck zum Einsatz, der eine Woche zuvor von der russischen Besatzungsmacht abgelehnt wurde.

Wer damals den Einsatz des Gummistempels angeordnete, ist nicht bekannt. Mögliches Szenario ist nachfolgendes, was auch von pensionierten Postbeamten bestätigt wurde:

Die Marken mussten den Aufdruck «Österreich» tragen, egal wie dieser aussah.

Es soll der betreffende Erlass damals diese Deutung zugelassen haben. Diese Aussage wurde von Reg. Rat Josef Leckel (Wien) einer der angesehensten Experten und Prüfer in einem Beitrag in «Die Briefmarke» vom März 1979 veröffentlicht, bestätigt.

Eine Tatsache, die diese Aussage unterlegt ist, dass nach dem 22. Mai 1945 immer noch viele steirische Postämter über die offiziellen überdruckten Hitler-Freimarken gar nicht verfügten oder aber diese erst später erhielten. Somit wurden auch Marken ohne Überdruck eingesetzt, auf die dann handschriftlich «Österreich» aufgebracht werden musste.

Die beschriebenen Umstände führten dazu, dass die Grazer Postbeamten gar keine andere Wahl hatten, als in der Zeit zwischen 8 Uhr und 10 Uhr bis zur Anlieferung der regulären Überdruckwerte, die nicht überdruckten Hitlermarken mit dem provisorischen Stempel zu versehen.

Bedarfsmässig kommt der provisorische Stempel häufig auf Postanweisungen der Landeskrankenkasse für Steiermark, Paulusgasse 4, vor.

Vermutlich wurden am Abend des Vortags die angelieferten Postanweisungen mit den regulären Hitlermarken (ohne Österreich Aufdruck) von der Landeskrankenkasse vorfrankiert und anschliessend mit dem provisorischen «Österreich» Stempel (jeweils mit 2 Doppellinien (links/rechts)) versehen und mit dem Ortstempel «Graz / 1 / 22.5.45.-0 / 5g» entwertet.

Die Vorfrankatur lässt sich damit auch nachweisen, dass bei manchen Vorfrankaturen, der Gummistempelaufdruck (Linien) auf das Postanweisungsformular übergeht.

Eine Vorfrankatur von Postanweisungen wie diese durch die Landeskrankenkasse erfolgte, lässt sich u.a. damit erklären, dass es damals eine Vorschrift gab, die es dem Aufgeber aber auch dem Postamt erlaubte Postanweisungen selbst freizumachen. Bei einer grösser anstehenden Menge, wie das bei der Landeskrankenkasse der Fall gewesen sein musste, ist es naheliegend, dass die Vorfrankierung durch die Behörde selbst erfolgte.

Es ist weiter zu vermuten - nachdem die vorfrankierten Postanweisungen bereits angeliefert waren, dass man der Landeskrankenkasse ersparen wollte, das fällige Porto nochmals zu entrichten. Dies ist damit zu begründen, da die die Marken mit dem offiziellen Überdruck noch nicht mal das Postamt Graz 1 erreicht hatten.

Vollständige Postanweisungen mit dem provisorischen Gummiaufdruck sind kaum bekannt, es lagen jedoch rekonstruierte Exemplare (aus wiedereingesetzter Ausschnitten) vor, wie dies unten gezeigte Exemplar (siehe Abbildung).

 

Eine spannende Frage bleibt, warum nicht mehr «2-Stunden-Provisorien» auf Postanweisungen aufgetaucht sind?

Eine Erklärung dafür könnte sein, dass jene Postanweisungen, die nicht zugestellt werden konnten und daher auch nicht in der Verwertung (Skart) gelangten erstmal zurückbehalten werden mussten. Gemäss den Ausführungen von Reg. Rat Josef Leckel und seinen Recherchen sind die unzustellbaren Postanweisungen spätestens zur Währungsreform 1948 an die Postsparkasse in Wien zur Umwertung gelangt und wurden an die Postämter zum wiederholten Zustellungsversuch retourniert. Wie viele der Postanweisungen dann tatsächlich noch erfolgreich zugestellt werden konnten ist nicht mehr rekonstruierbar.

Jedoch scheinen Belege Herrn Leckel vorgelegen zu haben, die das vorgenannte Vorgehen bestätigten.

Ein Belegexemplar zeigt eine rekonstruierte Postanweisung mit einem 30 Pfg. 2-Stunden-Provisorium». Für Überweisungen bis 25 RM war die Gebühr von 30 Pfg. zu entrichten, wie auf der Rückseite der Postanweisung zu entnehmen ist, siehe unteren Abschnitt

 

Gängige Praxis seinerzeit war, dass an die Postanweisung die Rückbestätigung mit Heftklammern angebracht wurden. Meistens wurde dabei die Marke mit den Heftklammern durchbohrt. Eine «Heftklammern-Lochung» der Marken stellt daher keinen qualitätsmindernden Tatbestand dar.  

Bei dem abgebildeten Exemplar war das Rote Kreuz in Mürzzuschlag am 24. Mai 1945 bereits aufgelöst. Daher erfolgte die Rücksendung mit dem «zurück» Vermerk nach Graz. In Graz blieb die Anweisung liegen, überdauerte den Zonenwechsel zwischen Sowjets zu den Briten und wurde unerledigt an die Postsparkasse Wien abgeführt und mit dem Stempel vom 22. XI. 1946 für verfallen erklärt

 

Vorlagenblätter und Vorlageexemplare des 2-Stunden-Provisoriums

 

Vermutlich existierten 3 Vorlageblätter, die später zerschnitten wurden, um sie als Einzelwerte zu veräussern.

Folgende Wertstufen sind heute bekannt:

5 Pfg., 6 Pfg., 10 Pfg., 15 Pfg., 20 Pfg., 25 Pfg., 30 Pfg. und 40 Pfg.

Unklar bislang ist, ob die 12 Pfg. – wie katalogisiert im ANK und Michel ebenfalls vom Vorlageblatt existiert. Als abgelöste Briefmarke gibt es den 12 Pfg. Wert, weitere können existieren, sind aber noch nicht vorgelegen.

Alle Marken wurden mit dem Ortsstempel «Graz 1 / 22.5.45. -0 / 5h» abgeschlagen. Vermutlich handelt es sich bei diesem Stempel um einen «alten» Paketamtsstempel mit dem Unterscheidungs-kennzeichen «h» im Vergleich zu jenem mit «g» welcher auf den Postanweisungen abgeschlagen wurde.

Bei dem im Einsatz befindlichen Amtsstempel Graz 1 – 5g vom 22.5.1945 handelt es sich nach überlieferten Aussagen um einen Stempel, der ursprünglich auf der Paketabteilung des Grazer Hauptpostamts in Einsatz war. Dieser wurde am 22.5.1945 eingesetzt, nachdem zu wenig «Österreichische Stempel» zur Verfügung standen.

Die bis dahin im Einsatz befindlichen Stempel aus dem 3. Reich trugen noch den Zusatz «Stadt der Volkserhebung» und durften nicht mehr einsetzt werden. Daher wurde anfangs auf die älteren Stempel aushilfsweise zurückgegriffen, bevor die entnazifizierten Stempel zum Einsatz gelangten.

Bekannt wurden auch postfrische Stücke, die jedoch nie am 22.5.1945 zum Verkauf am Hauptpostamt Graz 1 gelangten. Sie dürften Vorlagestücke der Post gewesen sein, die bisher nur einmal je Wert aufgetreten sind. Sie zählen damit zu den Top-Raritäten der österreichischen Philatelie und gelangten wohl illegal in Sammlerhände.

 

Verschiedene Verwendungsformen an Hand des 20 Pfg. 2-Stunden Provisoriums

 

  1. Vorlageblattausschnitt (Stempel Graz 1 / 22. V. 45 -.0 / 5h)

 

  1. Postanweisungskartenausschnitt (Stempel Graz 1 / 22. V. 45 -.0 / 5g)

Vollständige Postanweisungen dürften heute die grosse Ausnahme darstellen, da die Postanweisungen aus Beständen stammten, die an die Postsparkasse abgeführt wurden. Einige kamen über den Postskart (verwertete Formularabschnitte) in Sammlerhände.

 

  1. Postanweisungkartenausschnitt (Stempel Graz 1 / 22.V.45 -.0 / 5g)

  1. Abgelöste Briefmarke von einer Postanweisung mit Stempelfragment

Klar durch die Stempelposition erkennbar, dass es sich um die echte Verwendung auf einer Postanweisung handeln muss. Es ist jedoch zu vermuten, dass es nur wenige bekannte abgelöste Stücke gibt, da diese vermutlich als Fälschungen der Grazer Ausgabe gehalten wurden.

 

Von Roman Bukovansky, Münchwilen, Schweiz



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