Alte Briefe für Heimatsammler

Alte Briefe für Heimatsammler

In einem meiner Schränke lagerten zum Beispiel 6 Ordner mit alten niederösterreichischen Belegen, die ich mittlerweile auch zum Ballast gezählt hatte, und für die ich eine Menge Abnehmer vermutete. Also erstellte ich eine Liste mit Vorphilabelegen aus Niederösterreich (alphabetisch geordnet mit Auf- und Abgabeorten, meist mit Angaben über Ex-offo, Porto oder Franko, gelegentlich mit Jahrzahl und Katalognummer, aber ohne Taxierungen und andere philatelistische Feinheiten) und verbreitete sie in Niederösterreich.Die Rückmeldungen erbrachten eine Überraschung nach der anderen:

1. Die ersten Zuschriften trafen in postwendender Eile ein, so als ob die Absender befürchteten, durch Säumigkeit einen günstigen Kauf zu versäumen.

2. Mein zweites AHA-Erlebnis bestand darin, dass fast alle Zuschriften von Heimatsammlern stammten, also von solchen, welche sich vorwiegend für ihre nähere Umgebung interessieren und weniger für die große weite Welt.

3. Aufgefallen ist mir auch, wie viele davon sehr freundlich zurückschrieben und manche sich sogar für mein Angebot bedankten, so als würde ich einen besonderen Dienst an den vielen Heimatsammlern leisten, um die sich sonst niemand kümmert.

Die zunehmenden Kontakte mit Heimatsammlern eröffnete mir einen guten Einblick in ihr Sammlerleben, mit allen Facetten: Heimatsammler interessieren sich also besonders für die Geschichte ihrer Heimat und sammeln alles darüber, sowohl das Wissen darüber als auch alle möglichen Gegenstände daraus, seien es alte Gerätschaften, Fotos und Ansichtskarten, Sterbebildchen Verstorbener der umgebenden Dörfer oder Berichte und Zeitungsausschnitte über alte Vorkommnisse ihrer Umgebung. Manche von den Heimatsammlern sind Dorfchronisten und verfügen über ein beneidenswertes historisches Wissen.

Viele von ihnen sammeln aber auch Rekozettel, Postablagen, Sonderstempel oder beliebige Belege mit heimischen Poststempeln und Destinationen. Viele Heimatsammler sind also auch Philatelisten, zwar keine reinrassigen, weil sie dafür zu wenig Zeit haben, weil sie auf vielen Hochzeiten tanzen. Jedenfalls sind sie aber vom gleichen Sammlervirus infiziert wie wir Postgeschichtler. Und viele Heimatsammler sind auch Mitglieder des VÖPh und treffen vor allem an den Tauschtagen mit uns zusammen. Und dort unterscheiden sie sich meist als kundige und rührige Kundschaften vor den Schachteln mit Ansichtskarten, aber wenn sie sich von Stand zu Stand nach einem alten Poststück ihres Heimatortes „Hinterlangkirchen“ oder „Vordermühlfeld“ erkundigen, überfordern sie in der Regel die Postgeschichtler und erleben eine erfolglose Suche nach der anderen.

Ich will den Unterschied und das grundsätzliche Problem zwischen den Philatelisten und den Heimatsammlern an zwei Sammlerfreunden im Bezirk Horn konstruieren: Der Philatelist sammelt Briefe mit allen jemals in seinem Bezirk verwendeten Stempeln, wie sie im Müller- und Kühnkatalog verzeichnet sind, möglichst glasklar abgeschlagen. Er ist nahezu komplett mit seiner Sammlung und sitzt auf einer Fülle von Doubletten mit weniger klaren Abschlägen. Der Heimatsammler hingegen lechzt noch nach allerhand Briefen aus den winzig kleinen alten Siedlungen in seinem Bezirk. Ihn interessieren nicht so sehr die postamtlichen Vermerke sondern in erster Linie allfällige Vermerke der Absender über deren Herkunftsdorf. Solche Vermerke finden sich fast immer in der obersten Zeile der Adressseite, was auf jene Zeit zurückgeht, als es noch keine Poststempel gab.

Für den Heimatsammler gibt es keinen Katalog und trotz jahrelanger Suche kennt er noch manches kleine Nest in seinem Sammelgebiet, aus dem er noch keinen Brief finden konnte, obwohl er schon eine erstaunlich umfangreiche Sammlung besitzt, wie zum Beispiel von Briefen der Herrschaft Wildberg und der Stiftsherrschaft Altenburg OMB und solche aus Geras, Greillenstein, Primersdorf, Buchberg, Stockern, Gars usw. Die beiden Sammler aus Horn demonstrieren das folgende weit verbreitete Problem: 1. Der philatelistische Sammler einer Region findet unschwer postalische Belege aus seinem Gebiet. Als Perfektionist erobert er immer wieder Belege mit noch schöneren Poststempeln und die anderen legt er als 2. oder 3. Wahl zu den anderen ausgesonderten zur Seite, denn dafür gibt es kaum akzeptable Abnehmer. 2. Der Heimatsammler hingegen hat keine Schachtel voller Briefe postalisch zweiter und dritter Wahl. Sein Kummer besteht vielmehr aus seinem Mangel an Briefen aus einer Reihe winziger Orte des Bezirkes Horn.

Eine Problemlösung wäre nur über eine bessere Kooperation zwischen Heimatsammlern und Philatelisten möglich: Die Heimatsammler müssten alle alten Weiler alphabetisch sortiert notieren, für die ihnen noch Belege fehlen. Von dieser Suchliste müssten sie reichlich Kopien machen und diese an alle erreichbaren Philatelisten und Händler verteilen. Und umgekehrt müssten die Philatelisten und Händler ihre Doubletten durchschauen und aus allen handgeschriebenen Absendervermerken kleiner Ortschaften eine Bestandsliste erstellen, die sie wiederum an alle erreichbaren Heimatsammler verteilen könnten.

Ergebnis: Die Vorphilasammler wären zufrieden, weil sie Doubletten loswürden. Die Heimatsammler wären zufrieden, weil sie Lücken füllen könnten. Und die Doubletten wären zufrieden, weil sie endlich einen Platz gefunden hätten, an dem sie geschätzt werden. Hubert Jungwirth






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