Fürst Metternich und das Briefgeheimnis

Fürst Metternich und das Briefgeheimnis

Fürst Metternich und das Briefgeheimnis

 

Fürst Metternich regierte Österreich von 1810 bis 1848 als Staatskanzler mit besonderer Leidenschaft für Außen- und Innenpolitik. Besondere Verdienst erwarb er sich nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Traumes vom französisch dominierten Europa durch die Wiederherstellung der Herrschaftsgebiete Europas im Laufe des Wiener Kongresses. Nicht umsonst nannten sie ihn Kutscher Europas.

Seine Machtposition beruhte auf einem raffiniert ausgebauten und allgegenwärtigen System von Geheimpolizei, Spionage und Vernaderung. Dabei spielten geheimnisvoll ausgeklügelte unverfrorene Eingriffe in das Postwesen eine bedeutende Rolle. Sie gingen vom zentralen Grundsatz aus, dass sich Macht auf Wissen stützen muss und dass viel politisches Wissen über den Briefverkehr fließe, insbesondere mit der Transitpost. Das Anzapfen dieser postalischen Kommunikation war zwar durch das Briefgeheimnis geschützt, aber für den Fürsten sollte dies kein Hindernis sein.

Den größten Wert legte Metternich darauf, dass die Transitroute zwischen den italienischen Staaten und Frankreich über österreichisches Gebiet verlief, sodass er in zentralen österreichischen oder befreundeten Postämtern Logen einrichten konnte, in denen interessante Post geöffnet, gelesen, abgeschrieben und wieder verschlossen weitergeschickt werden konnte. Offiziell wurde der Erhalt von Transitrouten damit begründet, dass damit bedeutsame Einnahmen verbunden waren und die gesamte Infrastruktur gefördert wurde. Das System der Metternich´schen Briefzensur wurde natürlich, so gut wie möglich, geheim gehalten, was aber nicht nur im Inland teilweise misslang und sogar in allen politischen Zentralen Europas bekannt war, sodass diese wiederum entsprechende Gegenmaßnahmen wie Geheimschriften oder irreführende Adressen ergriffen.

 

Die wichtigsten Postlogen bestanden in Udine, Venedig, Padua, Vicenza, Verona und Mantua. Sie waren täglich 12 bis 14 Stunden geöffnet und mit mindestens 3 hochspezialisierten und gut bezahlten Logisten besetzt. Manche waren darauf geschult, wichtige Deckadressen aufzuspüren, andere waren Handschriftenspezialisten, Übersetzer oder Abschreiber. Besonders kunstvoll arbeiteten jene Künstler, welche die Wachssiegel öffneten und wieder verschlossen, ohne Spuren zu hinterlassen. Jene, die einen fremden Ziffernschlüssel oder eine Geheimschrift auflösten, bekamen Gratifikationen usw.

1830 kündigte Frankreich jedoch den Transitvertrag mit Österreich und kündigte an, dass das Postamt Hüningen ab 1. 7. 1830 keine Post mehr aus Fremditalien (= ohne Lombardei und Venetien) nach Frankreich annehmen werde, weil dieser Transit in Zukunft über Sardinien nach Frankreich geleitet werde. Ob dieser Routenwechsel mit der kürzeren Strecke begründet wurde, oder mit der schnelleren Beförderungszeit, oder mit dem einfacheren und billigeren Transit, der nur mehr über ein Transitland führte, anstatt über Österreich und die Schweiz, sei dahingestellt. Jedenfalls wich die neue Transitroute der Metternich´schen Briefzensur aus.

                                            

Aber so schnell ließ sich Metternich nicht ausbremsen: Er erreichte, dass die betreffende Post aus Fremditalien von Florenz nach Mailand oder Verona weitergeleitet wurde. Dort ließ er sie so verändern, als wären es Briefe aus der österreichischen Lombardei oder aus Venetien, und mischte sie unter die anderen Briefe aus den beiden österreichisch- italienischen Ländern, die in Hüningen weiterhin anstandslos behandelt wurden. Die fremditalienischen Stempel wurden mit großen, fetten MAILAND- oder VERONA-Stempeln überstempelt und anstatt des L.T. – Stempels für fremditalienische Transitbriefe musste der L.I.-Stempel für Frankreichbriefe aus Lombardei und Venetien aufscheinen. Und nebenbei konnten die Briefe in den Logen wie gewohnt zensuriert werden.

 

Praktisches Beispiel eines in Verona überstempelten Briefes:

 

 

Transitbrief aus Rom vom 4. 1. 1831 über Florenz und vertragswidrig weiter nach Verona – dort mit dem VERONA-Stempel + L.I. Stempel für die Herkunft aus den österreichisch italienischen Ländern + allfällige Zensurbehandlung – weiter über Bozen, Vinschgau, Bregenz, Hüningen nach Paris – von dort auf der wieder vertragsgemäßen Route nach England.

Mit diesem erschwindelten Postenlauf über Hüningen ergab sich für Österreich ein erhöhter Verwaltungsaufwand, weil es ja keinen Anspruch auf die nicht mehr vorgesehene Transitgebühr hatte, aber Metternich konnte seine Zensur aufrecht halten, bis nach kurzer Zeit der Schwindel aufflog und abgestellt wurde.

 

Hubert Jungwirth



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