Die feinen Unterschiede grenzüberschreitender Briefe

Die feinen Unterschiede grenzüberschreitender Briefe

 

Die feinen Unterschiede grenzüberschreitender Briefe

 

Postgeschichtliches Wissen ist bei der Bearbeitung und Prüfung alter Briefe die Grundvoraussetzung: ohne fundierte Kenntnisse kann man postgeschichtliche Dokumente nicht entschlüsseln. Dies ist aber genau der Reiz, der Sammler antreibt. Besonders bei grenzüberschreitender Korrespondenz bis hinauf in das späte 19. Jahrhundert, mit fehlenden (bi- und multilateralen) Postverträgen und Mangel an einheitlicher Behandlung von Briefen durch unterschiedliche Postverwaltungen, kommt dies sehr oft zum Vorschein.

Dies zeigt auch dieser wunderschöne Brief aus dem Königreich Lombardei-Venetien in den Kirchenstaat. Die unter österreichischem Regime stehende lombardo-venezianische Postverwaltung verfügte ab 1. Juni 1850 bereits über Franko-Marken, also Briefmarken, welche die Vorausbezahlung des Beförderungsentgelts praktisch erledigten, während der Kirchenstaat erst ab 1. Jänner 1852 Postwertzeichen an die Kunden des Postdienstes ausgab.

Gerade in dieser Übergangszeit, wo also ein Land bereits über Briefmarken verfügte, aber das andere noch nicht, gibt es interessante Beispiele.

Der vorliegende Brief stammt aus Lendinara, einer Kleinstadt westlich von Rovigo gelegen, und war ins benachbarte Ferrara (etwa 30 km südlich) adressiert. Er wurde am 30.7.1851 beim Postamt Lendinara aufgegeben und mit einem horizontalen Dreierstreifen der 10 centesimi Marke der 1. Ausgabe frankiert.

 

Aufgrund fehlender vertraglicher Grundlagen einer Frankierung bis zum Empfänger (Absender aus Lombardei-Venetien und Österreich mussten bzw. konnten nur bis zur Grenze des Kirchenstaates frankieren) wurde damit lediglich die österreichische Inlandsgebühr von 30 centesimi abgegolten. Aufgrund der geringen Entfernung zur Grenze (das Grenzpostamt zum Kirchenstaat war Rovigo, das mit Ferrara auswechselte) bedeutet dies, dass es sich um einen Brief der 2. Gewichtsstufe (mehr als 1 Wiener Loth von 17,5 g) handeln musste, nachdem die Gebührenordnung zum 1.6.1850 mit Einführung der Briefmarken für Briefe bis 10 Postmeilen (75 km) einen Tarif von 3 Kreuzer oder in Lombardei-Venetien 15 centesimi vorsah. Das Grenzfranko wurde vom Postbeamten in Lendinara durch 2 Nebenstempel bestätigt: FRANCA und FRONTIERE (Grenze).

 

Das Grenzpostamt im nahen Rovigo fügte den Transitstempel Regno L° V° (Lombardo Veneto) hinzu und signalisierte dadurch, dass dieser Brief gemäß Postvertrag Kirchenstaat-Österreich von 1823 als lombardo-venezianischer Brief zu behandeln und entsprechend zu taxieren war. Der Kirchenstaat berechnete für diese Briefe nämlich eine viel geringere Gebühr als für Briefe aus dem restlichen Österreich, die mit dem Stempel STATI EREDITARI AUSTRIACI versehen wurden.

Nun, hier muss man wissen, dass Österreich und der Kirchenstaat der Taxierung der Briefe unterschiedliche Briefgewichte ihrer innerstaatlichen Postreglements zu Grunde legten.

Wie bereits erwähnt war das in Österreich das Wiener Loth mit 17,5 g, der Kirchenstaat hingegen hatte damals noch das sehr niedrige Gewicht von 6 denari oder ca. 7,1 g (was einem gewöhnlichen Briefbogen, einem „foglio“, entsprach). In unserem Fall, bei einer 2. österreichischen Gewichtsstufe, zwischen 17,5 und 35 g Gewicht, ergab dies dann im Kirchenstaat nicht ebenso die 2., sondern gar die 3. Gewichtsstufe, und daher wurde der Brief mit 21 bajocchi taxiert.

Die Taxordnung des Kirchenstaates vom November 1844 (mit Erlass des Kardinals Tosti verlautbart) sah für Briefe aus Lombardei-Venetien, die in die 3. Distanz (die Romagne mit der Hauptstadt Ferrara) adressiert waren eine Gebühr von 9 bajocchi pro Einheit vor; Grenzrayonsbriefe, wie Ferrara, zahlten jedoch eine um 2 bajocchi verminderte Gebühr, also 7 baj. Die 3. Gewichtsstufe (also in diesem Fall ca. 21,5 g Gewicht) ergab somit eine Gebühr von 3 x 7 = 21 bajocchi.

 

Wäre dieser Brief nicht aus Lendinara, sondern beispielsweise aus Bozen gekommen, also im Kronland Tirol und daher im österreichischen Staatsgebiet, hätte der Empfänger ganze 63 bajocchi bezahlen müssen. Hier wird nochmals die Bedeutung des Grenzübergangsstempels Regno L° V° bewußt, der, obgleich immer Österreich, eine unterschiedliche, und eben empfindlich billigere Taxierung ermöglichte. Dieser Stempel ist ziemlich selten. Nach dem Katalog von Paolo Vollmeier (Sirotti, Mailand 1979) wurde er erst 1850 eingeführt (als Verwendungsdaten werden Februar bis Mai 1850 genannt, als Farbe rot). Dies ist etwas sonderbar, da die anderen Verwendungsorte Mantua und Padua ab 1843 bekannt sind, Venedig ab 1847. Es würde sich nur dadurch erklären, dass anfänglich nur die großen Grenzpostämter mit viel Postverkehr vorgesehen waren, und erst später das kleinere Rovigo, das ja nur für die umliegende Grenzrayonspost fungierte, hinzukam.

Jedenfalls ist der bei Vollmeier abgebildete Stempel nicht der richtige, wie dieser Brief beweist (das R von Regno ist unterschiedlich).

 

                       

 

 

bei Vollmeier

 

 

auf diesem Brief

 

Erst als beide Staaten dem österreichisch-italienischen Postverein beigetreten waren (1.10.1852) wurden solche Briefe bedeutend billiger: die 30 centesimi hätten nun völlig ausgereicht, der Empfänger gar nichts mehr bezahlen müssen (21 bajocchi waren umgerechnet ca. 118 centesimi, da sieht man die Einsparung).

 

von Dr. Thomas Mathà (A.I.E.P.)



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